In den Neunzigerjahren wurde das vergessene Weinbaugebiet Boca im Piemont von zwei Visionären wiedererweckt. Mittlerweile haben die individuellen und lagerfähigen Boca-Weine von Le Piane sowohl in Italien als auch auf internationaler Ebene wieder höchste Anerkennung gefunden.
Die Geschichte dieses erst kürzlich aus dem Dornröschenschlaf erweckten Weinbaugebietes ist ebenso lange zurückreichend wie wechselhaft. So wurde die Weinkultur in den Hügeln von Novara an den Ausläufern der Voralpen bereits von Plinius dem Älteren in seinem berühmten agrarischen Werk „Historia Naturalis“ erwähnt. Im 19. Jahrhundert, als die Langhe erst langsam an Bedeutung gewannen, galt das nördliche Piemont als das fortschrittlichste und grösste Weinbaugebiet Italiens, das mit rund 40.000 Hektar Weinbaufläche auch die Toskana weit übertrumpfte.
Die frühe Industrialisierung dieser Region und die Abwanderung der Arbeitskräfte führten zu einer schrittweisen Verringerung der Rebfläche, bis schliesslich 1950 ein verheerender Hagelschlag dazu führte, dass ein Grossteil der Weinberge aufgegeben wurde.
Schwieriger Neubeginn, glückliches Erbe:
In den 1990er-Jahren wurde diese vergessene Weinbaugegend vom Schweizer Christoph Künzli und dem leider früh verstorbenen Innsbrucker Önologen Alexander Trolf bereist. Sie lernten mit Antonio Cerri einen der letzten Winzer und dessen einzigartige Weine kennen, und beschlossen in der Folge, einen der wenigen noch existierenden Rebberge zu kaufen.
Letzten Endes konnten schrittweise einige der besten Boca-Lagen wieder bestockt werden, sodass heute eine Rebfläche von acht Hektar erreicht wird. 2003 kam schliesslich der erste Boca DOC auf den Markt und sorgte gleich für Aufsehen; seither ist fast jeder Boca-Jahrgang von Le Piane im Gambero Rosso mit der Höchstnote von drei Gläsern ausgezeichnet worden. Wesentlichen Anteil an der Qualität und Eigenständigkeit haben Boden und Mikroklima dieses „verwunschenen“ Gebietes: Das sind einerseits Porphyrböden vulkanischen Ursprungs, die übrigens in Italien einzigartig sind, andererseits das zumeist bis in den Herbst sehr milde Voralpenklima, das grosse Schwankungen zwischen Tag- und Nachttemperaturen aufweist.
Nicht nur Nebbiolo Boca DOC, der mit Abstand wichtigste Wein, besteht aus 85% Nebbiolo- und 15% Vespolina-Trauben. Die schwierige und krankheitsanfällige Rebsorte Vespolina ergibt floralen Duft und honigartige Aromen, wodurch die strenge und straffe Struktur des Nebbiolo ein wenig gemildert und unterstützt wird. Ebenfalls seit alters her in Boca anzutreffen ist die Croatina-Rebe, die Le Piane nützt, um aus bis zu 100-jährigen Rebanlagen einen burschikosen und tanninreichen, ja unverwechselbaren Wein hervorzubringen, der als einziger auch zum Teil im kleinen Fass ausgebaut wird.
Der Einstiegswein, der nach dem Erziehungssystem „Maggiorina“ genannt wird, wird aus Croatina und Nebbiolo sowie einem Gemischten Satz weiterer zehn Rebsorten erzeugt und ist für den frühen Genuss bestimmt. Schon mehr Ausdrucksstärke und Standfestigkeit weist die nach einem legendären Mitarbeiter „Mimmo“ benannte Cuvée auf, die aus Nebbiolo mit 30% Croatina komponiert wird und gleichsam den Übergang zum kraftvolleren und hochwertigeren Boca darstellt.
Die Boca-Gewächse selbst, von denen im Durchschnitt rund 12.000 Flaschen pro Jahr produziert werden, werden nach penibler Selektion im Weinberg ausschliesslich im grossen Holzfass ausgebaut, wo sie nach rund 40-tägiger Maischestandzeit im Regelfall drei bis vier Jahre lagern. Erwähnenswert sind die Verwendung offener Gärständer und der ausschliessliche Einsatz von Naturhefe, die Jungweine dürfen ein Jahr auf der Feinhefe verbleiben, wobei stets auch ein Anteil vom Presswein verwendet wird.
Textausschnitte aus vinaraia, der österreichischen Zeitschrift für Weinkultur